Mülltourismus – Landkreis wehrt sich

Italienischer Abfall landet im Zwischenlager Spröda / Qualität und Kapazität im Blickpunkt

Von Frank Pfütze

Kreisgebiet / Neapel. Europa organisiert Neapels Müllabfuhr und der Landkreis Delitzsch scheint zum Mitmachen verdonnert zu sein. Dagegen wehrt sich Landrat Michael Czupalla (CDU). Obwohl der Müll in der italienischen Stadt Neapel noch immer zum Himmel stinkt, ist bereits seit mindestens einem Jahr Hausabfall aus Kampanien züge- und schiffeweise auch in den Verwertungsbetrieb Cröbern bei Leipzig unterwegs (wir berichteten). In der Mechanisch-Biologischen Abfallbehandlungsanlage (MBA) der Westsächsischen Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft wurden bisher 65.000 Tonnen Hausmüll aus Neapel und Umgebung verarbeitet. Die Mafia wird in Verbindung mit den Entsorgungsgeschäften dort gebracht.

Insgesamt 100.000 Tonnen dürften es sein. Diese Menge stellt ein Drittel des jährlichen Gesamtvolumens der Anlage dar, soll freie Kapazitäten der für die Hausmüllentsorgung des Leipziger Raumes zuständigen Anlage füllen.

Delitzsch ist vertraglich an Cröbern gebunden, entsorgt dort seinen Hausmüll und bezieht dafür sogenannte heizwertreiche Fraktionen zu Weiterverarbeitung und zum Verkauf. In einem Brief wandte sich Delitzschs Landrat gestern an den Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der Vorsitzender des Zweckverbandes Abfallwirtschaft ist, zu dem die Anlage gehört.


Michael Czupalla: Ich muss hier besorgt fragen, hat der Zweckverband mit der MBA Cröbern eine überdimensionierte Anlage errichtet, deren Kosten zukünftig der Gebührenzahler tragen muss?


Czupalla wirft einige Fragen auf: „Warum kann die Anlage nur zu zwei Dritteln mit Müll aus der Region bedient werden?“ Der 57-Jährige sagt weiterhin voraus, dass sich die Versorgung der MBA in Zukunft noch schwieriger gestalten wird, weil auch Nachbar Sachsen-Anhalt mehrere Müllverbrennungsanlagen betreibt und sich um Auslastung bemüht.

Müllimporte, wie sie momentan begünstigt von der Notlage in Italien möglich sind, stellen nur eine augenblickliche Lösung dar. Ich muss hier besorgt fragen, hat der Zweckverband mit der MBA Cröbern eine überdimensionierte Anlage errichtet, deren Kosten zukünftig der Gebührenzahler tragen muss?

Czupalla blickt mit Sorge auf die Qualität der heizwertreichen Fraktionen, die auch aus diesen importierten Müllmengen erzeugt wird: „In Italien wird die Mülltrennung nicht mit der gleichen Sorgfalt wie in Deutschland praktiziert. Es ist also durchaus möglich, dass sich die chemische Zusammensetzung wesentlich von der des einheimischen Abfalls unterscheidet.“ Der Landrat bittet Jung, dass das innerbetriebliche Qualitätsmanagement dafür sorgt, dass Probleme bei der späteren Verwendung der Abfallprodukte auszuschließen sind. „Zusätzliche chemische Analysen“ des angelieferten Abfalls hält der Delitzscher für „dringend erforderlich“, um die vereinbarten Qualitätsparameter gegenüber dem Vertragspartner, den Kreiswerken Delitzsch, zu gewährleisten.

Die Kreiswerke kündigten derweil an, ihrerseits die Lieferungen „verstärkt zu kontrollieren“. Denn auch sie müssen für den Ersatzbrennstoff für Zement- und Kraftwerke strenge Qualitätsanforderungen einhalten.

Eine Antwort auf den Brief wird in den kommenden Tagen im Landratsamt erwartet.

Leipziger Volkszeitung, Delitzsch, LOKALES, Seite 17, 23.01.2008


STANDPUNKT


Von Frank Pfütze

Kein Spagat

In Neapel stinkt der Müll zum Himmel. Obwohl es in Delitzsch auch immer mal unangenehm riecht, scheint Italien weit weg zu sein. Offenbar nicht weit genug. Denn der Landkreis ist, ohne eigenes Verschulden, in die mafiösen Müllverstrickungen eingebunden. Am Ende der Kette steht Spröda, das Zwischenlager der Kreiswerke, die aus sogenannten heizwertreichen Fraktionen einen Ersatzbrennstoff herstellen, den sie weiterverkaufen. Die Geschäfte gehen schlecht. Ob Italien wirklich weit weg ist, muss irgendwann der Kreistag entscheiden. Der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit, Moral und Ethik mag weh tun. Die Frage, ob ein Landkreis Mafia-Geschäfte unterstützen darf, beantwortet sich von selbst. Die Verstrickungen und ungünstigen Umstände, die Kette der Zufälle und Unwissenheiten endet irgendwie auch hier im Landkreis. Zeit zum Handeln. Mit dem Schreiben in Richtung Leipzig hat das Landratsamt reagiert. Das ist konsequent und richtig. Die Verweigerung der Abnahme wäre eine logische Konsequenz. Der Kreis dürfte keine Probleme haben, zu versuchen, das durchzudrücken. Denn die große Menge heizwertreicher Fraktionen, die transportiert und zwischengelagert werden muss, findet längst nicht den gewünschten Absatz. Ob das rechtlich wasserdicht ist, muss jedoch bezweifelt werden. Neben Ethik und Moral wäre da aber auch noch der Umweltgedanke. Müll von Neapel bis Leipzig zu transportieren, ist doch eigentlich ein Umweltverbrechen genug. Egal, ob ihn Italiens Ministerpräsident Romano Prodi oder die Mafia auf Reisen schickt.

@f.pfuetze@lvz.de

Leipziger Volkszeitung, Delitzsch, LOKALES, Seite 17, 23.01.2008


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