Zusatzgeschäft Neapel

Für westsächsische Entsorgungsgesellschaft in Cröbern ist die Verwertung von italienischen Hausabfällen wichtige Einnahme

Von ANDREAS FRIEDRICH

Cröbern. Langsam kippt der Laster den Container immer steiler an. Als das Vorderteil ganz schräg hoch gen Hallendecke ragt, öffnen sich mit einem lauten Krachen die zwei Türen und Unmengen von Plastiktüten und undefinierbarem Unrat ergießen sich auf den Hallenboden. Rauchschwaden steigen auf. Die träge Masse aus vielfarbigen Säcken stinkt. Auf einer dreckig-weißen Einkaufstüte ist noch die Aufschrift Supero zu lesen. Daneben eine grüne Waschmittelflasche und die Reste einer Gazzetta dello Sport. Müll aus Neapel. Weil er in der Hauptstadt der italienischen Region Kampanien die Straßen verstopft und zum Himmel stinkt, wird er auch nach Deutschland exportiert und unter anderem in Cröbern bei Leipzig verarbeitet.

Wir helfen gerne“, sagt Günther Lohmann. Doch der Geschäftsführer der Westsächsischen Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft (WEV) verhehlt nicht, dass der Abfallimport aus Neapel „kein störendes Geschäft“ ist. Seit Juni letzten Jahres kommt täglich ein Zug aus Italien an. 65.000 Tonnen Müll sind bereits geliefert und verwertet worden. 100.000 sollen es werden. Geht es nach Lohmann, gern noch mehr. In Zeiten, da die Abfallmengen auch im Großraum Leipzig zurückgehen, lastet Neapels Dreck die hochmoderne, knapp 80 Millionen teure Anlage mit einer Jahreskapazität von 300.000 Tonnen erst richtig aus. „Müll ist in Europa eine handelbare Ware. Wir aquirieren immer Zusatzmengen, um unsere Anlage auszulasten“, erklärt Lohmann.


Günter Lohmann: Müll ist in Europa eine handelbare Ware. Wir aquirieren immer Zusatzmengen, um unsere Anlage auszulasten.


Die Müllzüge sowie alle Genehmigungen werden vom italienischen Staatskonzern Ecolog organisiert. 170 bis 200 Euro kostet diesen eine Tonne Müll – inklusive Transport. Ein Zug bringt täglich etwa 500 Tonnen Müll – verpackt in geruchsfeste Seecontainer. Das scheint auch nötig, denn die Sonne Süditaliens hat die Zugladung schon leicht zum Kochen gebracht, erste Gärungsprozesse in Gang gesetzt. Deswegen tragen Lohmanns Mitarbeiter in Cröbern Atemmasken, wenn sie die Stahlkisten vom Zug heben, auf Sattelschlepper laden und vor der mechanischen Aufbereitung auskippen. So wie die Neapolitaner ihre Mülleimer füllen, landet deren Inhalt südlich von Leipzig. Männer mit Atemmasken suchen den Eingang auf Fremdkörper ab. Ein Vorderlader schiebt die dampfende Menge zu einem Riesenberg zusammen. Ein Greifer packt ihn auf ein Förderband. Dann verschwindet der Unrat in der Nachbarhalle, zu verfolgen nur noch von einem Leitstand aus, wo drei „Müllmänner“ in sauberer Büroluft an Computern den Weg des Abfalls regulieren.

Hinter der Glasscheibe wird irgendwo in einem haushohen Gewirr aus Maschinen und Förderbändern der gerade gelieferte Containerinhalt samt Supero-Tüte, Waschmittelflasche und Gazzetta-Rest gerüttelt, abgeschieden, durchgeblasen, zerkleinert und verdichtet. Der stählerne Organismus trennt fast so penibel wie eine umweltbewusste Hausfrau. Es ist wie im Märchen: Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen. Magnetbänder sortieren die Metallteile heraus. Windsichter trennen die leichten Kleinteile von den „Fehlwürfe“ genannten Ingredienzien, die nicht in den Hausmüll gehören. Im Prinzip besteht die Lieferung aus Neapel zur Hälfte aus Fehlwürfen. Denn Mülltrennung kennt man dort nicht. Aber so fast ideologisch-verbissen wie die Deutschen scheidet ohnehin kaum jemand seine Abfälle. „In der mechanischen Behandlung werden alle Wertstoffe aussortiert“, erklärt Lohmann. Über ein Drittel der jährlich angelieferten Gesamtmenge verlassen als Ersatzbrennstoffe die Anlage zur Weiterverarbeitung in den Kreiswerken Delitzsch. Der Rest des Mülls wird in einem Tunnelsystem erst sieben und dann ebenerdig mindestens noch einmal elf Wochen lang biologisch bearbeitet. Er wird befeuchtet, erwärmt, belüftet, bis er zu einer Einheitsmasse verkompostiert. Dabei sickern die Schadstoffe heraus und werden aufgefangen. Die Masse sackt zusammen. Auf etwa ein Fünftel ist die Eingangsmenge Müll am Ende zusammengeschrumpft. Die wird nun auf der betriebseigenen Deponie eingelagert. Natürlich passiert alles unter Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte und Abfallgesetze. Dafür garantiert das firmeneigene Testlabor.


Günter Lohmann: Wir helfen gerne. Und der Abfallimport aus Neapel ist kein störendes Geschäft.


Die Abfallvorschriften in Italien und Deutschland seien übrigens die gleichen, weil es seit 1. Juni 2005 geltende EU-Gesetze gebe, leistet sich Lohmann einen kleinen Seitenhieb. Seitdem ist das Deponieren unbehandelten Hausmülls verboten. Hier zu Lande seien 20 Milliarden Euro investiert worden, um die strengen Vorschriften einzuhalten. Doch es ist ja bekannt, dass die Müllmisere rund um Neapel mit der Camorra zu tun hat. Die hat die Abfuhr so manipuliert, dass sie selbst die Abfälle auf den kampanischen Feldern verkippt, von Zeit zu Zeit anzündet, für diese Nothilfe riesige Gewinne einstreicht und wohl auch EU-Subventionen abzweigt. Bisher flossen aus Brüssel 500 Millionen Euro nach Neapel zur Verbesserung der Abfallwirtschaft. Aber keiner weiß, wo die geblieben sind. Obwohl die EU-Kommission ein Verfahren eingeleitet hat, werden in Süditalien so schnell keine modernen Entsorgungsanlagen aus dem Boden schießen. Und Günter Lohmann signalisiert freie Kapazitäten: „Wenn wieder ein Hilfeersuchen kommt, richten wir uns darauf ein.

Leipziger Volkszeitung, Seite 3, 17.01.2008


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