Korruptionsaffäre: Anzeige gegen de Maizière

Dresden (dpa). Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) gerät in der Korruptionsaffäre in Sachsen nun auch durch Äußerungen von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) unter Druck. Milbradt schließt einem Zeitungsbericht zufolge nicht aus, dass der Ex-Innenminister des Freistaates bereits vor ihm von der Datensammlung des Verfassungsschutzes zur Organisierten Kriminalität gewusst hat. Er halte es für denkbar, dass andere Mitglieder der Regierung früher darüber informiert waren, schreibt Die Welt.

Ich bin vor einigen Monaten über das Problem informiert worden, dass Akten existieren, und dass der Datenschutzbeauftragte eine Verwertung für rechtswidrig hält“, sagte Milbradt. Auf die Frage, ob auch de Maizière als ehemaliger Innenminister (2004 bis 2005) Kenntnisse hatte, sagte Milbradt: „Das mag sein.“ Die Akten selbst kenne er, Milbradt, nicht. Laut Landtagsmitglied Karl Nolle (SPD) weiß der Ministerpräsident seit November von der Datensammlung. Ein Staatsanwalt in Kamenz soll ihn informiert haben.

Die Staatsanwaltschaft Dresden prüft eine Anzeige gegen de Maizière. „Ich hoffe, dass wir möglichst bald Genaueres sagen können“, sagte Oberstaatsanwalt Christian Avenarius gestern und bestätigte einen Bericht der Morgenpost am Sonntag, wonach eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gestellt wurde. De Maizière soll als Innenminister die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages (PKK) nicht über Erkenntnisse des Geheimdienstes benachrichtigt haben. Der PKK-Chef Gottfried Teubner (CDU) hatte de Maizière vorgeworfen, Vorschriften „nicht für ganz voll genommen“ zu haben. Sein Handeln im Umgang mit geheimen Verfassungsschutzakten sei „glatter Rechtsbruch“ gewesen. Auch Nolle sprach gestern von Rechtsbruch.

De Maizière reichte das fragliche Material nicht an die Staatsanwaltschaft weiter (diese Zeitung berichtete). Dabei hatte der Verfassungsschutz einen Teil intern für abgabereif erklärt. Diese Erkenntnisse hatte man bereits zwischen April und Mitte Juli 2005 gesammelt, noch zu Zeiten von de Maizière.

Leipzier Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburg, Seite 4, 11.06.2007


Die Chemie stimmte nicht

Martin Klockzin über Hintergründe und Ermittlungen zum Attentat von 1994

Von JENS ROMETSCH
Martin Klockzin

Leipzig. Martin Klockzin, der Chef der Rechtsabteilung der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB), hat sich erstmals seit Jahren zu seinem Fall geäußert. „Offenbar war er ja einer der Auslöser für die Datensammlung des Verfassungsschutzes über kriminelle Netzwerke in Sachsen“, sagte der 48-Jährige in einem exklusiven Gespräch dieser Zeitung. Klockzin wurde am 17. Oktober 1994 durch drei Schüsse lebensgefährlich verletzt. Ein falscher Telegrammbote hatte am Abend an seiner Wohnung im Leipziger Stadtteil Lindenau geklingelt und sofort geschossen. Die Ermittlungen und die Prozesse dauerten neun Jahre. „Ich habe nie verstanden, weshalb das Verfahren gegen die eigentlichen Auftraggeber eingestellt wurde, ihre drei Mittelsmänner jedoch lebenslänglich erhielten“, sagte er nun. „Wenn wirklich kein Mord beabsichtigt war, sondern nur eine Körperverletzung, empfinde ich das Urteil lebenslänglich gegen die Mittelsmänner als viel zu hoch.

Klockzin bestätigte einen Bericht dieser Zeitung über Differenzen zwischen den einzelnen Ermittlungsbehörden – Polizei Leipzig, Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwaltschaft. „Mein Eindruck war, dass die Chemie nicht stimmte.“ Dennoch seien heute über seinen Fall viele Gerüchte im Umlauf, die sich in Luft auflösen würden. Beispielsweise werde er mit dem Kinderbordell „Jasmin“ in Verbindung gebracht, das Anfang der neunziger Jahre in der Merseburger Straße in Leipzig existierte. „Ich war nie in einem Kinderbordell oder dergleichen. Der falsche Verdacht stammt vermutlich aus einer Zeugenvernehmung vom 19. Oktober 1999.

Damals sagte einer der Mittelsmänner des Attentats bei der Polizei aus. Laut des Vernehmungsprotokolls berichtete er, sein Auftraggeber Manfred S. habe erzählt, dass „Klockzin bestechlich sei, aber immer Unsummen forderte. Weiterhin wurde uns erklärt, dass Herr Klockzin des Öfteren im Kinderbordell in der Merseburger Straße war. Dies wussten Manfred S. und Josef S. aus sicherer Quelle. Uns wurde auch klipp und klar gesagt, dass Klockzin nicht nur (wie bei mehreren anderen, vorherigen Aufträgen – Anm. der Redaktion) eine drauf bekommen sollte, sondern er sollte für mindestens zwei Wochen ins Krankenhaus.“ Bei Manfred S. und Josef S. handelte es sich um Immobilienmakler aus dem Allgäu. Sie verübelten Klockzin sein Vorgehen im Restitutionsverfahren um ein Gründerzeithaus in der Leipziger Riemannstraße 52. Deshalb zahlten sie den Mittelsmännern mehr als 8000 Mark für „eine Abreibung“, wie beide später zugaben. Den Einsatz einer Waffe hätten sie aber nicht gewollt. Klockzin erklärt die Sache heute so: „Um die Hemmschwelle bei ihren Gehilfen zu senken, behaupteten sie einfach, ich würde Schmiergeld annehmen und sei pädophil. Absoluter Blödsinn.

Tatsache ist, dass genau jener Manfred S. von der Staatsanwaltschaft Leipzig wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt wurde, weil er in einem Kinderbordell verkehrt haben soll. Diese Anklage wies das Landgericht Leipzig am 28. November 2001 als nicht stichhaltig ab, die Staatsanwaltschaft akzeptierte das. Die entsprechenden Prozessakten wurden vor zwei Wochen an Ermittlungsbehörden in Dresden überstellt, die nun die Datensammlung des Verfassungsschutzes auswerten sollen. Während die Mittelsmänner und ein von ihnen beauftragter Schütze nach wie vor im Gefängnis sitzen, sind Manfred S. und Josef S. weiter auf dem Leipziger Immobilienmarkt aktiv. Sie treten beispielsweise als Geschäftsführer einer Firma im Stadtteil Gohlis auf, gegen die momentan eine zivilrechtliche Klage läuft.

Im Jahr 2000 erstellte das LKA ein internes Gutachten zum Fall Klockzin und wies auf etliche Ungereimtheiten hin. „Hinsichtlich des Grundstücksgeschäftes Riemannstraße 52 bestehen Zweifel an dessen rechtmäßigem Ablauf“, hieß es in der Zusammenfassung. Die LKA-Leute schlugen vor, die Staatsanwaltschaft solle diesen Komplex vom Verfahren gegen Manfred S. und Josef S. abtrennen. Dadurch „bestünde die Möglichkeit von Ermittlungen in Grundstücksangelegenheiten der Stadt Leipzig“. Die Chance verstrich ungenutzt und dürfte nicht wiederkehren. Denn nach zehn Jahren sind die meisten Taten verjährt.

Klockzin versicherte, seit seinem Amtsantritt bei der LWB am 1. Juni 1994 seien alle Verkaufsentscheidungen durch ein fünfköpfiges Gremium getroffen worden – und zwar gemäß der Vorgaben der Stadt. „Die letzte Entscheidung lag jedoch bei der Geschäftsführung. Das galt auch für die Riemannstraße 52.“ Aus der Luft gegriffen sei eine Einschätzung aus dem LKA-Gutachten, der Ex-Abteilungsleiter Rainer Fornahl habe durch Fehlinvestitionen 40 Millionen Mark Schaden verursacht. Fornahl, heute SPD-Bundestagsmitglied und LWB-Aufsichtsrat, sei ihm einige Monate unterstellt gewesen und habe in dieser Zeit nichts mit Investitionen zu tun gehabt, so Klockzin: „Er hat seine Arbeit redlich und gründlich verrichtet.

Leipzier Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburg, Seite 4, 11.06.2007


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