Milbradts Kurswechsel

Innenminister Buttolo in Akten-Affäre unter Druck

Von JÜRGEN KOCHINKE
Albrecht Buttolo

Dresden. Eigentlich wollte Sachsens Regierungschef Georg Milbradt (CDU) gestern dem Vergnügungspark Belantis einen Besuch abstatten. Schließlich traf sich Bundespräsident Horst Köhler bei Leipzig mit 500 Patenkindern – ein hübscher Termin auch für Milbradt. Doch es kam anders: Der Regierungschef musste den Besuch ganz kurzfristig abbrechen und nach Dresden zurückkehren – Krisengespräche führen, vor allem mit Innenminister Albrecht Buttolo (CDU).

Der Grund für den unorthodoxen Kurswechsel von Milbradt war eindeutig. In Dresden machten interne Meldungen die Runde über eine Krisensitzung der CDU-Fraktion im Landtag; es gehe um Buttolo und die Korruptionsaffäre im Freistaat, um Verfassungsschutz und Organisierte Kriminalität (OK). Klar war ebenso: Sollte die CDU ihren eigenen Innenminister an solch sensibler Stelle anzählen, wäre er ernsthaft in Gefahr – und damit auch Milbradts vorderster Fürsprecher in Sachen Kreisreform. Hier haben Milbradt – und der ebenso in den Landtag geeilte CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer – ganz offensichtlich das für sie Schlimmste verhindert. Die Krisensitzung wurde vertagt, es gab Rückendeckung für Buttolo von ganz oben. „Ich weiß, dass sowohl Fraktion wie Ministerpräsident meine Politik unterstützen“, erklärte der Innenminister gestern Nachmittag.

Dabei drohte die Luft für Buttolo politisch durchaus dünn zu werden. In der Sache hat er ein ähnliches Erklärungsproblem wie sein Vorgänger, der jetzige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU). Der hatte die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags nie über die brisanten OK-Akten informiert, weshalb ihm PKK-Chef Gottfried Teubner (CDU) „Rechtsbruch“ vorgeworfen hatte. Buttolo, der seit Ende November 2005 Innenminister ist, tat dies ebenso wenig.

Hinzu kommt ein einfacher Fakt. Beide – de Maizière wie Buttolo – reichten das Material nicht an die Staatsanwaltschaft weiter. Dabei hatte der Verfassungsschutz einen Teil der Akten intern für abgabereif erklärt. Das gilt nach Informationen dieser Zeitung vor allem für den Komplex mit dem Codenamen „Abseits III“, der sich um die Leipziger Verhältnisse dreht. Diese Erkenntnisse hatten die Verfassungsschützer bereits zwischen April und Mitte Juli 2005 gesammelt, noch zu Zeiten von de Maizière. Endgültig abgabereif waren sie aber spätestens ab Mitte Juli 2006. Nach Aussage von de Maizière wie Buttolo aber waren die Fälle noch nicht endgültig ausermittelt.

Darüber hinaus war Buttolo auch in seiner Zeit als Staatssekretär im Ministerium für das Verfassungsschutz-Referat Nummer 47 zuständig – allerdings nur formal. Denn dazu existierte offenbar eine Absprache, dass nicht Buttolo, sondern der jetzige Staatssekretär Jürgen Staupe faktisch für den Sicherheitsbereich zuständig sei.

Leipzier Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburg, Seite 4, 09.06.2007


Netzwerk schlägt Netzwerk

Mit einem Geflecht aus Informanten enthüllt Autor Jürgen Roth kriminelle Kontakte aus Politik, Justiz und Mafia

Leipzig. Lesungen mit dem Korruptions- und Mafiaexperten Jürgen Roth enden meist mit einem ganz besonderen Ritual. Ist Roth mit dem Lesen und Signieren seiner Bücher durch, kommt mindestens ein Mann auf ihn zu, tritt ganz nah an ihn heran, raunt ein paar kurze Sätze und steckt ihm eine Visitenkarte zu. Roth lässt diese schnell verschwinden und grinst unter seiner tief sitzenden Lesebrille in seinen grauen Bart. Wieder ein Informant gewonnen. So auch am Donnerstag in Leipzig. Roth ist einer der wenigen, die die geheimen Akten des sächsischen Verfassungsschutzes über das kriminelle Geflecht aus Politik, Justiz sowie Rotlicht- und Drogenmilieu kennt. Und er scheint für viele Polizisten einer der wenigen, denen sie Ungereimtheiten aus ihrem Dienst anvertrauen.

Seit Wochen hält der Publizist aus Frankfurt/Main Politik und Justiz mit Andeutungen seines Wissens auf seiner Internetseite auf Trab. Wird er als bloßer Behauptungsschreiber abgetan, reagiert er am nächsten Tag mit den Aktenzeichen der ihm vorliegenden Schriftstücke. Das kurbelt den Kauf seine Bücher an. In der Bahnhofsbuchhandlung Ludwig las er aus seinem aktualisierten Werk „Der Deutschland-Clan“. Darin beschreibt er, wie kriminelle Strukturen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. In einigen Wochen erscheint sein nächstes Buch „Anklage unerwünscht“. Darin wird unter anderem beschrieben, wie in Plauen Justiz, Politik und Rotlichtmilieu gemeinsame Sache machen. Nächstes Jahr dann soll „Mafialand Deutschland“ erscheinen, wo die vom Verfassungsschutz aufgeschriebenen Erkenntnisse dargestellt werden. „Die Wirklichkeit hat mein Buch etwas vorweggenommen. Aber das Material geht nicht aus.

Und Roth hat viel Material. Das merkt man seinen Büchern und seinen Lesungen mitunter nicht an. Dort bleibt er oft vage, beschreibt die Abhängigkeiten zwischen vermeintlich seriöser und der Unterwelt. „Ich will zeigen, dass solche Strukturen im vermeintlich ordentlichen Deutschland unkontrolliert ihr Unwesen treiben und die Demokratie auf den Kopf stellen. Namen sind ersetzbar.“ Dennoch kommen Namen reichlich von Gerhard Schröder, Wladimir Putin, Gasprom, wie auch legalen und regionalen Polit- und Gangstergrößen vor. Oft sind die Grenzen fließend.

Roth verschweigt manchen Namen auch deshalb, weil er seine Quellen nicht preisgeben will. Auch davon hat er eine Menge. Er grinst auf die Frage ein vielsagendes Grinsen in sich hinein. Nicht nur bei Lesungen suchen Polizisten, die von Vorgesetzten oder Staatsanwälten in ihren Ermittlungen behindert werden, Kontakt zu ihm. Gleiches passiert auch nach Vorträgen an der Polizeiakademie. In den dreißig Jahren, in denen er freischaffend über organisierte Kriminalität in Deutschland und Europa recherchiert und schreibt, hat er ein stattliches Informantennetz geflochten. Wie zutreffend seine Enthüllungen sind, ermisst sich auch daran, dass keines seiner Bücher juristisch verhindert wurde. Dafür bekommt Roth schon mal eine Morddrohung ins Haus. „Einmal sollte ich innerhalb von vier Wochen liquidiert werden. Da wurde mir Polizeischutz gestellt“, erzählt er und lächelt wie zum Beweis, dass er noch lebt.

Andreas Friedrich

Leipzier Volkszeitung, Delitzsch-Eilenburg, Seite 4, 09.06.2007


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