Mit der Post schicken wir es jedenfalls nicht

Korruptions-Affäre: Ermittler erhalten erste Geheimakten / Misstrauensvotum gegen Generalstaatsanwalt Schwalm

Dresden. Seit zwei Wochen kursieren Meldungen rund um Korruption, Kindesmissbrauch und Immobilienschiebereien im Freistaat, gestern nun meldeten die Sicherheitsbehörden Vollzug. Die Generalstaatsanwaltschaft erhielt ein erstes Dossier mit Material aus den Geheimakten des sächsischen Verfassungsschutzes, zeitgleich ging eine Kopie an Generalbundesanwältin Monika Harms. Doch selbst zu Details der Übergabe gaben sich die Schlapphüte wortkarg – „aus Sicherheitsgründen“. „Mit der Post schicken wir es jedenfalls nicht“, sagte ein Sprecher kryptisch.

Der Geheimdienst hatte zwischen 2003 und 2006 mit einem Netz von Informanten in fünf Komplexen zur Organisierten Kriminalität (OK) ermittelt. Die unter Verschluss gehaltenen Unterlagen – 15.600 Blatt Papier in fast 100 Ordnern – bilden die Grundlage der Affäre. Bevor das Material zur Staatsanwaltschaft ging, tagte die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags gestern ein weiteres Mal zum Thema. Ergebnis: Das Gremium ist zufrieden, dass überhaupt ermittelt wird – doch ein wenig Skepsis bleibt.

Grund dafür sind die Regeln der Justiz. „In einzelnen Fällen droht Verjährung“, teilte PKK-Chef Gottfried Teubner (CDU) nach der Sitzung mit. Doch die Geheimdienstkontrolleure gingen noch einen Schritt weiter. Sie fordern, dass Justizminister Geert Mackenroth sowie Innenminister Albrecht Buttolo (beide CDU) die Suspendierung betroffener Staatsdiener prüfen. Und dass Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm das Bundeskriminalamt „förmlich ersucht, die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung wahrzunehmen“.

Das grenzt an ein Misstrauensvotum gegenüber dem höchsten Ermittler im Freistaat. Schließlich war es das PKK-Mitglied André Hahn, das Schwalm erst vor kurzem als „das personifizierte Gegenteil von politisch unabhängigen Ermittlungen“ bezeichnet hatte. Ins Visier gekommen ist dabei auch der frühere Leipziger Oberstaatsanwalt Norbert Röger. Gegen den Chef beim Amtsgericht Chemnitz laufen Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Dresden.

Einer der Ausgangspunkte der Geschichte ist das Attentat auf den früheren Manager der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) Martin Klockzin. Im Streit um einen Altbau in Zentrumsnähe hatten zwei Immobilienhändler Schläger beauftragt, um ihm eine „Abreibung“ zu verpassen. Klockzin wurde mit Schüssen lebensgefährlich verletzt, in den Prozessen kam es zu einigen Ungereimtheiten.

Weitere Puzzlesteine sind der fragwürdige Selbstmord des früheren Leipziger CDU-Schatzmeisters Walter Bullinger sowie weitere Todesfälle, die bis heute nicht aufgeklärt wurden – und das Bordell Jasmin, in dem Anfang der 90er Jahre minderjährige Mädchen zur Prostitution gezwungen wurden. Spuren führen auch nach Dresden, Chemnitz und ins Vogtland. So wurde Ende 1999 der OK-Ermittler der Polizei Plauen, Karlheinz Sporer, erhängt im Wald gefunden.

Sven Heitkamp / Jürgen Kochinke

Leipziger Volkszeitung, Sachsen und Mitteldeutschland, Seite 4, 26./27. Mai 2007


 »»» weitere Zeitungsartikel über die sächsische Korruptionsaffäre

 »»» zur Startseite