Interview der Woche

Ich würde ganz gern noch etwas bewegen

Delitzschs Oberbürgermeister Heinz Bieniek über den 60. Geburtstag, die Lage der Stadt, Lutz Mörtl und seine Zukunftspläne

D e l i t z s c h. Am morgigen Sonntag wird er 60 Jahre alt: Heinz Bieniek, seit 1990 Stadtoberhaupt von Delitzsch. Im Interview mit der Kreiszeitung äußert sich der Christdemokrat zu seinem runden Geburtstag, zur aktuellen Kommunalpolitik in der Kreishauptstadt und zu seinen Zukunftsplänen.

In Delitzsch geboren, in der Elisabethstraße aufgewachsen, am Lober Oberbürgermeister: Heinz Bieniek feiert am Sonntag seinen 60. Geburtstag. Als Jugendlicher wollte der spätere ökonomische Direktor bei der Gebäudewirtschaft katholischer Priester werden. Fünf Jahre lang besuchte er deshalb in Schöneiche bei Berlin das einzige Gymnasium der DDR, auf dem Pennäler das altsprachliche Abitur bauen konnten. Zwei Semester an der theologisch-philosophischen Fakultät in Erfurt folgten, ehe Bieniek über Dogmatismus und Zölibat stolperte. Weil die einstigen Machthaber seine schulischen Abschlüsse nicht anerkannten, wurde er zunächst als einfacher Achtklassenschüler geführt und musste das Zehner-Zeugnis noch mal erwerben. Es folgten eine Ausbildung als Facharbeiter für Lochkartentechnik und ein Fernstudium in EDV und Kybernetik mit dem Abschluss Ökonom für EDV und Kybernetik, heute Diplom-Volkswirt (FH). Im Jahr 1971 trat Bieniek in die CDU ein – „wegen des C“, wie er sagt. Sein Motto damals: „Ich bringe mich als Christ in den Aufbau des Sozialismus ein.“ Er stehe dazu, eine so genannte Blockflöte gewesen zu sein.


Foto: Manfred Lüttich
Heinz Bieniek

Frage: Der 21. Januar 2007 ist für Sie ein besonderes Datum, Sie vollenden Ihr 60. Lebensjahr. Wie geht es Ihnen damit?

Heinz Bieniek: Die Zahl stimmt mich nachdenklich. Das war bei der 40 und bei der 50 auch schon so. Vor zehn Jahren etwa habe ich gedacht: Mensch, jetzt hast du die Hälfte deines Lebens hinter dir. Bestenfalls die Hälfte. Da ich noch nie einen Hehl daraus gemacht habe, dass ich gesundheitlich nicht hundertprozentig auf dem Posten bin, denke ich nun darüber nach, wie lange ich wohl noch tätig sein kann, denn die längste Zeit meines Arbeitslebens liegt hinter mir. Eins kann ich Ihnen sagen: Für mich ist es ein Horror mir vorzustellen, dass ich irgendwann, in welcher Zukunft auch immer, den ganzen Tag zu Hause sein soll. Ich bin es nun mal gewöhnt, regelmäßig mit Leuten zusammenzukommen, auszugleichen und Entscheidungen zu treffen, aber nicht mehr, so banale Sachen zu machen wie im Telefonbuch nach einer Nummer zu suchen oder Banküberweisungen zu tätigen. Ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber Sie wissen, wie ich das meine.

Demnach werden Sie eher an einer kleinen überschaubaren Feier, denn an einer großen interessiert sein. Nun sind Sie aber der Oberbürgermeister. Wie läuft der Sonntag ab?

Ich hatte mal kurz überlegt wegzufahren. Aber irgendwann käme ich ja wieder und dann würden sich die Gratulanten schon melden, haben mir meine Leute gesagt. Also läuft das Ganze jetzt so ab, dass es im Rathaus am Sonntagvormittag einen kleinen Empfang geben wird. Die engsten Mitarbeiter kommen um zehn, ab 10.30 Uhr steht die Tür dann allen offen, die mir die Hand schütteln wollen. Um 13 Uhr machen wir aber Schluss. Für 17 Uhr habe ich dann im Bahnwerk den halben Saal gemietet, um mit der Familie, mit Freunden und engsten Arbeitskollegen zu feiern. Das werden so rund 80 Personen sein. Das muss reichen. Ich bezahle auch alles aus der eigenen Tasche.

Seit 1990 sind Sie Chef im Rathaus. Es heißt, dass der damalige ökonomische Direktor bei der einstigen Gebäudewirtschaft geradezu gezwungen werden musste, für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren. Warum haben Sie sich zunächst gesträubt?

Michael Czupalla, mit dem ich schon zusammen Ministrant und damals sehr eng befreundet war, kandidierte für den Posten des Landrats. Das war innerhalb der CDU sehr schnell klar. Es stand die Frage im Raum, wer Delitzscher Bürgermeister werden könnte. Ich hatte mir Bedenkzeit erbeten, habe sechs Wochen lang intensiv mit mir gerungen, manche Nacht deshalb kein Auge zugemacht. Ich hatte einfach Angst davor; Angst, weil ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, was da alles auf mich zukommt. Auch wenn ich Karl Lubienski, den letzten Bürgermeister aus DDR-Zeiten, gut kannte, weil er mein oberster Dienstherr war, da die Gebäudewirtschaft dem Rat der Stadt unterstand. Alle haben mir gut zugeredet, ich musste dann Ja sagen, aber fragen Sie mich nicht, wie es in mir aussah. Mir ist die Muffe gegangen.

Sie hatten bei den Kommunalwahlen die meisten Stimmen einfahren können und wurden dann vom ersten frei gewählten Stadtrat nach der Wende ins Amt gehoben. Damals schritten Sie Seit’ an Seit’ mit der SPD. Warum wäre eine Koalition wie die von 1990 heute undenkbar?

Es stand nie in Frage, dass wir, CDU und SPD, die Sache gemeinsam machen. In meiner Verwandschaft gab es schon immer Leute, die der Sozialdemokratie nahe standen. Schon deshalb hatte ich und habe ich kein Problem mit dieser Partei. Einige Vertreter der heutigen Delitzscher SPD aber offenbar mit mir. Das war bei Richard Schuhmann, meinem Stellvertreter in der Anfangszeit, grundlegend anders. Von 1990 bis 1994 hat es zwischen ihm und mir zwar intern häufiger gekracht, aber es ging dabei immer fair zu. Und vor allem: Hatten Schuhmann und ich eine Abmachung getroffen, dann konnte sich der eine auf den anderen verlassen. Wenn er bei seinen Parteifreunden Widerstand spürte, dann holte er halt schnell mal „die große Einheitskeule raus“, wie Schuhmann immer sagte. Die Zusammenarbeit mit ihm war sehr gut. Leider begann dann ab 1994 dieses so genannte Oppositionsdenken.

Fehlt Ihnen heute so ein treuer Partner?

Bei den anderen Parteien – ja.

Nun übt vor allem die eine – Sie nannten Sie kürzlich die mit der zweitkleinsten Fraktion im Stadtrat – zurzeit mächtig Druck auf Sie aus. Einige SPD-Mitglieder forderten dieser Tage gar Ihren Rücktritt. Macht’s denn noch Spaß, an der Spitze der Stadtverwaltung zu stehen?

Mir hat die Arbeit als Oberbürgermeister immer Spaß gemacht. Tut sie auch weiterhin; wenngleich, ich habe es eben angedeutet, von Anfang an stets eine Portion Angst mit im Spiel war, ob ich diese Aufgabe denn auch zum Besten der Stadt erfüllen kann.

Das zweifeln einige inzwischen stark an. Besagte SPD macht Sie für die Krise und das Missmanagement bei den kommunalen Betrieben verantwortlich. Sie selbst haben vor reichlich einem Jahr davon gesprochen, für das Verantwortung übernehmen zu wollen, was in Ihrem Verantwortungsbereich lag. Haben Sie sich etwas vorzuwerfen?

Nein, habe ich nicht. All die Dinge, über die seit einiger Zeit hinlänglich diskutiert wird, sind von der Kommunalaufsicht des Landratsamtes, vom Regierungspräsidium, ja selbst vom Innenministerium bestätigt worden. Verletzungen der Gemeindeordnung, die zwischenzeitlich ja auch mal geändert wurde, hat es demnach nicht gegeben. Der Bau des Biomassekraftwerks (BMKW), das uns so richtig reingeritten hat, war für ein Stadtwerk wie Delitzsch – im Nachhinein betrachtet - eine Nummer zu groß. Damals aber hat es geheißen, das wird eine Gelddruckmaschine. Würde ich mit den heutigen Erkenntnissen sagen, gut wir bauen so ein Kraftwerk, dann hätte ich mir allerdings etwas vorzuwerfen. Wenn die SPD jetzt moniert, der Stadtrat sei damals nicht beteiligt worden, so kann ich nur noch mal betonen: Er musste es seinerzeit nicht und das BMKW war eine Angelegenheit der drei Gesellschafter. Im Übrigen bin ich fest davon überzeugt, dass der Stadtrat Herrn Mörtl in der Sache auch gefolgt wäre.

Wer hat sich dann etwas vorzuwerfen wenn nicht Sie?

Die wirtschaftliche Kontrolle durch unsere Stadtwerke GmbH und deren Chefs Lutz Mörtl, Hedwig Reiter und Yvonne Bargatzky-Bender als Hauptgeschäftsführerin entsprach aus jetziger Erkenntnis schon in der Phase der Entscheidungen über den Bau des BMKW nicht den Erwartungen, die an eine geschäftsleitende Holding gestellt werden.

Lutz Mörtl, mit dem Sie immer gut konnten, gab am Ende den Buhmann und musste gehen. Zuletzt sind Sie ihm im Leipziger Landgericht mal wieder begegnet. Wie war Ihnen zumute?

Ich hatte zu Herrn Mörtl immer ein sehr gutes Verhältnis. Ich gehöre auch nicht zu denen, die heute sagen, der Mann habe nur Mist gemacht. Ganz im Gegenteil: Der Mann konnte auch was. Er hat vieles in Bewegung gesetzt. Ich war an dem Tag im Gericht schon ziemlich aufgeregt. Ich hatte ihn nach der fristlosen Kündigung nur einmal kurz bei einem Spiel von Concordia in Leipzig gesehen. In einer der Verhandlungspausen bin ich auf ihn zu gegangen. Zum 50. habe ich ihm telefonisch gratuliert. Wenn es um das Thema Missmanagement geht, ist er für mich keineswegs der Buhmann. In der Rolle sehe ich eher die Stadtwerke.

Warum musste er dann weichen und nicht andere?

Er ist ja wegen ganz anderer Dinge entlassen worden. Er hat später leider ein wenig die Bodenhaftung verloren und übertrieben. Es hat darüber jede Menge Vier-Augen-Gespräche gegeben, in denen ich ihm x-mal gesagt habe, er möge ein bisschen mehr auf dem Teppich bleiben.

Sie zielen auf seinen Lebenswandel ab, von dem es heißt, er sei ausschweifend gewesen?

Jagdausflüge nach Russland, zweiter Dienstwagen für die Freundin: Die Dinge sind ja hinlänglich bekannt. Dazu seine Villa in Pohritzsch, wegen der er bald den Spitznamen Baron von Pohritzsch weg hatte. Entscheidend aber waren die Hinweise auf mögliche Unregelmäßigkeiten im Holzkontor, denen ich mich nicht entziehen konnte und mit denen sich die Staatsanwaltschaft beschäftigt. Der einschneidende Schritt war ja nicht der 23. September 2005, der Tag seines Rauswurfes, sondern schon der 1. August 2005, wo wir ihn als Geschäftsführer des Holzkontors abberufen haben. Ich habe leider bitter feststellen müssen, dass Versorgung etwas anderes ist als Entsorgung. Herr Mörtl hat es am Anfang sicherlich gut gemeint, aber am Ende hat er maßlos übertrieben. Er hat sich verhalten, als gehörten ihm persönlich die Technischen Werke.

Politik, so heißt es landauf landab, verdirbt den Charakter. Haben Sie sich in den fast 17 Jahren Ihrer Amtszeit zum Nachteil verändert?

Ganz spontan: Ja. Viele Freundschaften sind kaputt gegangen, weil die Zeit fehlte. Ich würde mich zwar höchstens als kommunalpolitischen Quereinsteiger bezeichnen, aber es leiden Menschen unter meinem Job. Allen voran die Familie, die eigene Frau. Meine Monika hat bislang bestimmt viel aushalten und schlucken müssen. Das Einfühlungsvermögen ist mir leider verloren gegangen. Man stumpft ab, weil man sonst kaputt gehen würde.

Sie haben Ihre Frau erwähnt. Wer oder was stützt Heinz Bieniek noch, wenn sich der Himmel über ihm verfinstert?

Außerhalb des Hauses, wenn es um ernsthafte Dinge geht, habe ich im Eilenburger Amtsgerichtsdirektor Klaus Göldner einen wirklich guten Freund gewonnen. Innerhalb des Rathauses war es bis 2005 mein langjähriger Büroleiter Joachim Wagner, heute sein Nachfolger Lutz Wachsmuth.

Thema Kreissitz: Unter der Woche hatten Sie die vier hiesigen Landtagsabgeordneten zu Gast, dazu den Landrat. Was ist rausgekommen bei Ihrem Gespräch?

Es wird noch einmal einen Termin beim Innenminister geben, bei dem der Landrat und ich die Vorteile Delitzschs ein weiteres Mal darlegen wollen. Außerdem ist ein weiteres Papier in Arbeit. Ich werde kämpfen, sage aber auch ganz offen, dass für mich die Sache zu 90 Prozent gegessen ist. Jetzt muss es darum gehen, das Optimum für Delitzsch herauszuholen. Als Preis dafür, dass wir uns anständig benehmen und nicht klagen werden, will ich auf jeden Fall das städtische Bauordnungsamt behalten, damit wir bei möglichen Ansiedlungen von Investoren das Heft in der Hand behalten und zügig zu Ergebnissen kommen.“ Auf die jüngste Rücktrittsforderung von SPD-Fraktionschef Siegfried Schönherr haben Sie beim Neujahrsempfang reagiert und klar gestellt, dass Sie bis zum Ende der Wahlperiode weitermachen. Treten Sie 2008 noch mal an? Diese Frage stelle ich mir auch schon seit längerer Zeit und ringe seitdem mit mir. Zum einen reizt die Aufgabe weiterzumachen. Den Willen dazu habe ich. Zum anderen steht die Gesundheit an erster Stelle. Ich wäre 2008 zur nächsten Wahl 61 Jahre alt und würde schon ganz gern noch etwas bewegen und nicht unbedingt zu Hause nur Gulasch kochen. Also kurz gesagt: Die Entscheidung, ob ich noch einmal kandidiere, möchte ich mir zum heutigen Zeitpunkt noch offenhalten.

Wenn Sie sich hier und jetzt etwas wünschen dürften, wovon bekannt ist, dass es unverzüglich in Erfüllung geht, was wäre das?

Als Delitzscher Oberbürgermeister: dass die schwierige Situation bei den städtischen Betrieben zum Wohle der Stadt geklärt werden kann, damit ich mich nach mehr als einem Jahr endlich mal wieder Dingen widmen kann, die zuletzt viel zu kurz gekommen sind; etwa den Kontakt zu meinen Mitar- beitern wieder intensivieren. Und dass wir den dicken Fisch an die Angel bekommen, der uns viele gute Arbeitsplätze bringt. Als Privatmensch: dass meine Frau, meine Kinder und meine wunderbaren Enkelkinder gesund bleiben und meine Pumpe auch noch ein bisschen mitspielt.

Letzte Frage:Sie fallen seit zwei Jahren als Delitzschs Fliegenträger Nummer eins auf. Wie viele besitzen Sie?

Hätten Sie mich nach Krawatten gefragt, hätte ich Ihnen sagen können: einen Koffer voll. An Fliegen dürften es so ungefähr 30 sein.

Heinz Bieniek Vielen Dank für die Blumen: Nach seiner Wahl zum ersten Nach-Wende-Bürgermeister von Delitzsch im Frühjahr 1990 drückt Heinz Bieniek (Mitte) seinem SED-Vorgänger Karl Lubienski (links) die Hand. Rechts der damalige Sitzungsleiter Gerhard Denef, heute Bienieks Stellvertreter.

Foto: Manfred Lüttich


Interview:
Kristian Teetz und Dominic Welters

Leipziger Volkszeitung, LEBEN im LANDKREIS, Seite 24, Delitzsch, 20./21.01.2007


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