SPD: „Bieniek soll sich erklären

Sozialdemokraten im Delitzscher Stadtrat fordern Oberbürgermeister indirekt zum Rücktritt auf

Von DOMINIC WELTERS

Delitzsch. Bei einer öffentlichen Pressekonferenz am Mittwochabend im Bürgerhaus hat die SPD-Fraktion im Delitzscher Stadtrat Oberbürgermeister Heinz Bieniek (CDU) indirekt zum Rücktritt aufgefordert. Nach einem Lehrgang zur kommunalen Daseinsvorsorge des Herbert-Wehner-Bildungswerks verlangte Fraktionschef Siegfried Schönherr von Bieniek, die Abgeordneten und die Öffentlichkeit über die Krise der kommunalen Betriebe und ihr tatsächliches Ausmaß endlich ins Bild zu setzen. „Politiker sollten ihre Politik erklären. Unser Oberbürgermeister ist ein Politiker. Wenn er sich und seine Politik nicht erklären kann oder dies nicht für nötig hält, dann mag er seinen Hut nehmen.

Schuld an der katastrophalen Lage trage in erster Linie der OBM, „der seiner Verantwortung nicht gerecht wird“. Bieniek informiere Stadt- und Aufsichtsräte über Probleme seit Jahren viel zu spät, treffe wichtige Entscheidungen ohne den Stadtrat oder verschleppe wichtige Entscheidungen „zum Schaden der Delitzscher, denen das kommunale Eigentum letztlich gehört“.

In einigen Punkten warf Schönherr dem Oberbürgermeister Unterlassung vor. So sei der Bau des Biomassekraftwerks seinerzeit ohne Beschluss des Stadtrates erfolgt. Außerdem habe der OBM auf die Forderung aller Fraktionen vom 9. Januar nach Berichterstattung über den Ernst der Lage und Vorstellung eines Konzepts, wie der Krise zu begegnen sei, erst am 28. Februar, „dem spätestmöglichen Zeitpunkt“, reagiert. „Unser Ziel war es, das kommunale Beteiligungsvermögen nach Möglichkeit zu erhalten. So aber sind wir sieben Wochen lang von Informationen abgekoppelt worden. Ein Konzept gibt es bis heute nicht.

Schönherr appellierte an Bieniek, „diese Kritik ernst zu nehmen“ und sich nicht mit ihrer Zurückweisung aus der Affäre zu ziehen. „Mit der monatelangen Untätigkeit muss Schluss sein.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 19.05.2006, Titelseite


Wir sind auf alles vorbereitet

Krise der kommunalen Betriebe – SPD im Stadtrat attackiert Bieniek und will Klarheit über vier Punkte

Von Dominic Welters

Delitzsch. Es sei ein Experiment, „um eine öffentliche Diskussion zu befördern“, sagte Siegfried Schönherr im Tagungsraum des Bürgerhauses, als er am Ende seiner Ausführungen über „Verantwortlichkeiten für den Zustand der Delitzscher kommunalen Betriebe“ angelangt war. Dabei schaute der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion erwartungsvoll in die Runde. Mit der Pressekonferenz am Mittwochabend hatten die Sozialdemokraten bewusst alle Delitzscher ansprechen wollen. Knapp zwei Dutzend der rund 28.000 ließen sich locken. Die meisten ohne sozialdemokratisches Parteibuch am Tisch waren Stadträte-Kollegen; darunter auch CDU-Leute. Denen dürften die Ohren geklungen haben bei der Premiere des Experiments, in dessen Verlauf vor allem einer aufs Korn genommen wurde: Oberbürgermeister Heinz Bieniek.

Vier Problemfelder nannte Schönherr, auf denen es das christdemokratische Stadtoberhaupt an Transparenz habe vermissen lassen – sehr zum Ärger vieler Abgeordneter, von denen zwar vier im Aufsichtsrat der Stadtwerke Delitzsch (SWD) sitzen – neben Schönherr sind dies Dietmar Mieth (CDU), Olaf Ihbe (Linkspartei) und Wolf-Dietrich Koch (Freie Wähler) –, die deshalb aber längst nicht alles wüssten. Klarheit forderte Schönherr über die Genesis des Biomassekraftwerks (BMKW), „dessen Bau einst am Stadtrat vorbei beschlossen wurde“, und über das „bis heute nicht vorgelegte Konzept, wie das kommunale Beteiligungsvermögen erhalten werden kann. Ein Konzept, auf das alle Fraktionen seit Dezember 2005 warten.“ Die später von der Verwaltung zurückgenommene Beschlussvorlage, der Stadtrat möge ein 1-Million-Darlehen der Wohnungsgesellschaft Delitzsch an die Mutter Stadtwerke bewilligen, wollen Schönherr und mit ihm Parteifreund Jörg Bornack, Experte in Sachen BMKW, Technische Werke (TWD) und sonstige kommunale Beteiligungen, ebenfalls zum Thema machen.

Problemfeld vier, zu dem die Sozialdemokraten vom OBM schleunigst Aufklärung erwarten: die im Raum stehende Klage gegen den Brennstofflieferanten Interwood, der 2003, also noch vor Fertigstellung des BMKW, aus einem 20-Jahres-Liefervertrag ausstieg, weshalb das Holzkontor gebaut wurde, von dessen Existenz der Stadtrat nur durch Zufall erfuhr. „Seit zwei Jahren ist hier nichts passiert. Für uns steht nach wie vor die Frage im Raum, ob denn die Stadt die Möglichkeit hat, bei Interwood etwas einzuklagen.“ Anfragen von Stadträten zu dem Thema seien zuletzt mehrfach nicht beantwortet worden. „Zurzeit wird hier viel Geld verbrannt. Geld, das Delitzsch in Zukunft fehlen wird.

Schönherr erwartet, dass der OBM „seiner Verantwortung Rechnung trägt und sich der öffentlichen Diskussion endlich stellt“. Andernfalls müsse er „Platz machen“. Auf Nachfrage, ob dies eine Rücktrittsaufforderung sei, sagte der SPD-Politiker: „Eine bedingte.“ Sollte Bieniek den Forderungen der Sozialdemokraten nicht nachkommen, „sind wir auf alles vorbereitet“. Ob er damit ein Abwahlverfahren meine oder eine Intervention bei der Kommunalaufsicht, ließ Schönherr offen.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 19.05.2006, Seite 3


Das sagen die Chefs der anderen Fraktionen

Auf die von SPD-Fraktionschef Siegfried Schönherr am Mittwochabend geäußerte „bedingte Rücktrittsaufforderung“ an die Adresse von Delitzschs Oberbürgermeister Heinz Bieniek (CDU) haben die Vorsitzenden der übrigen Fraktionen vor der gestrigen Stadtratssitzung zurückhaltend bis ablehnend reagiert.

Marlis Fischer von der christdemokratischen Mehrheit nahm ihren Parteifreund in Schutz. „Es ist ja nicht so, dass der Oberbürgermeister die Stadträte völlig im Unklaren ließe. Zur Lage der kommunalen Betriebe gab es im Januar eine zweitägige Klausur, über die Probleme der Stadtwerke wird regelmäßig im Ältestenrat gesprochen“, so Fischer. Sie halte die Rücktrittsforderung für „überzogen“, weil sich der OBM bemühe, „die Probleme zu lösen und er damit seiner Verantwortung durchaus gerecht wird“. Zum Thema Interwood meinte die CDU-Abgeordnete, hier laufe im September die Frist für die außergerichtliche Einigung aus. Sollten die Vergleichsgespräche bis dahin scheitern, werde die Schadenersatzklage gegen den noch vor Fertigstellung des Biomassekraftwerks (BMKW) im Jahr 2003 abgesprungenen Brennstofflieferanten anhängig. „Die Angelegenheit ist weniger Sache der Kommune, als vielmehr eine der Biomassekraftwerk GmbH und ihres Gesellschafters Eon Energy Projects aus München.“ Von daher könne sie nicht verstehen, warum die SPD der Stadtverwaltung und ihrem Leiter in diesem Punkt Untätigkeit vorwirft.

Wolf-Dietrich Koch von den Freien Wählern spricht Bieniek – Oberbürgermeister und Stadtwerke-Aufsichtsratsvorsitzender in Personalunion – gleichfalls davon frei, für die Misere allein verantwortlich zu sein. „Das ist er sicherlich nicht, deshalb halte ich die SPD-Analyse auch für nicht ganz korrekt.“ Die Holzbeschaffung, „der Pferdefuß bei der blanken Fehlinvestition BMKW schlechthin“, sei ein kompliziertes Metier, „von dem wir alle in Delitzsch wahrscheinlich nicht wirklich Ahnung haben“, so Koch.

Annelise Podsadny hingegen hat Verständnis für das Vorpreschen der Sozialdemokraten. „Die prekäre Lage der Stadtwerke erfordert dringend, dass die Verwaltung nichts mehr verschleppt, was in einigen Punkten tatsächlich der Fall ist, und dass wir als Stadträte mehr Einfluss nehmen können“, sagte die Linkspartei-Fraktionschefin. Das könne nur gelingen, „wenn wir den Druck auf den OBM und die Geschäftsführungen der Stadtbetriebe erhöhen“. Zur Rücktrittsforderung meinte sie: „Darüber will ich mit den Fraktionskollegen erst mal reden.

dom

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 19.05.2006, Seite 3


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