Korruption

Der Beifang

Zum Auftakt des Kölner Müllprozesses: Wie ein umtriebiger Geschäftsmann für den Müllmagnaten Trienekens in Ost und West politische Landschaftspflege betrieb

Von David Schraven

Das muss ein fröhlicher Abend gewesen sein, zu dem der Geschäftsmann Klaus-Jürgen Haupt am 25. Februar 2000 nach Iserlohn eingeladen hatte. Im feinen Hotel Vier Jahreszeiten am Seilersee traf er sich mit dem Landrat des Märkischen Kreises, Aloys Steppuhn, und dessen Kollegen Michael Czupalla aus dem sächsischen Delitzsch. Sie aßen Rinderfilet und Entenbrust, tranken eine Flasche Burgunder – einen Corton Charlemagne für 177 Mark – sowie einige Wodka Moskowskaja. Die Rechnung zahlte der Geschäftsmann Haupt. 605,73 Mark weist die Spesenquittung auf, welche die Ermittler mehr als zwei Jahre später beschlagnahmten.

Worüber haben die drei Männer an jenem Freitag gesprochen? Über private Dinge, sagt der Landrat Czupalla. Kein Wort über den bevorstehenden Kommunalwahlkampf in Sachsen, auch nicht über die geplante Müllverbrennungsanlage (MVA) im Kreis, für die er sich mit Haupt engagierte. Komisch, denn auf der Spesenquittung steht, Anlass für die Bewirtung sei ein Gespräch über den bevorstehenden Kommunalwahlkampf in Sachsen gewesen.

Wenn an diesem Donnerstag vor dem Landgericht Köln die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen den früheren Fraktionsvorsitzenden der Kölner SPD, Norbert Rüther, und zwei weitere Angeklagte eröffnet wird, beginnt die juristische Aufarbeitung eines der bislang größten Korruptionsskandale in Deutschland. Und doch wird in dem Kölner Verfahren, in dem es um den Bau des städtischen Müllofens und um mutmaßliche Schmiergeldzahlungen von mehr als 20 Millionen Mark geht, nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar. Denn bestochen wurde in der Müllbranche im großen Stil. Allein in Köln ermitteln die Fahnder gegen 35 weitere Personen. Eine von ihnen ist der 56-jährige Klaus-Jürgen Haupt.


Müllangelegenheiten. Die Karriere des Klaus-Jürgen Haupt begann 1976 unauffällig beim Märkischen Kreis im Sauerland. Auf dem Ticket der FDP stieg der studierte Jurist schnell auf zum Personaldezernenten; später zeichnete er auch für das Amt für Abfallbeseitigung – und damit für die MVA Iserlohn – verantwortlich. Ende der achtziger Jahre wechselte Haupt vom Sauerland an den Niederrhein, wurde Beigeordneter für Umweltschutz in Mönchengladbach. Dort lernte er den Müllmagnaten Hellmut Trienekens kennen, der auch im Kölner Skandal eine Hauptrolle spielt (sein Strafverfahren wurde aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt und wird separat geführt werden). 1990 schließlich gab Haupt seine Beamtenlaufbahn auf und gründete gemeinsam mit Trienekens und der Westdeutschen Landesbank (WestLB) das privatwirtschaftliche Institut für Kommunalwirtschaft (IKW).

Offiziell berät das scheinbar unabhängige Institut Kommunen in Ost und West in Müllangelegenheiten. Doch die Kölner Ermittler sind überzeugt davon, dass der eigentliche Zweck des Instituts ein anderer ist: Haupt habe seinen Partner Trienekens bei Geschäften mit den Kommunen platziert. Für die These, die die Kriminalpolizei in einem zehnseitigen Vermerk zur Hauptakte des Kölner Verfahrens festgehalten hat, spricht, dass Haupts Partner ihre Beteiligungen am IKW verschleiert haben. Trienekens ließ seine Anteile von einem Strohmann verwalten. Die WestLB stieg bereits zwei Jahre nach der Gründung des Instituts wieder aus, blieb der Gesellschaft aber als wichtiger Geschäftspartner erhalten. Insgesamt, vermuten die Ermittler, seien verschiedenen Kunden des Instituts aufgrund der verschleierten Beteiligungsverhältnisse Schäden von mindestens 2,8 Millionen Mark entstanden.

Doch damit nicht genug. In den Unterlagen, welche die Staatsanwaltschaft bei Haupt beschlagnahmt hat, fand sich ein Beratervertrag in Millionenhöhe, den das IKW mit Ulrich Eisermann geschlossen hatte. Eisermann war Geschäftsführer der Kölner MVA und sitzt an diesem Donnerstag im Landgericht mit auf der Anklagebank. Vom IKW scheint Eisermann kassiert zu haben – nur wofür, ist den Staatsanwälten unklar. Haupt selbst verweist auf Projekte in Berlin und Leipzig. Die Ermittler dagegen prüfen, ob das IKW möglicherweise nicht nur als Türöffner, sondern auch als Schmiergeldzentrale im Trienekens-Netzwerk fungiert hat. In Köln wird gegen Haupt im Zusammenhang mit Korruptionsdelikten ermittelt. Auch in Bochum, Leipzig und Bonn laufen Verfahren.


Ein Freund, ein guter Freund. Ein besonders enges Verhältnis verbindet Haupt mit dem Landrat des Märkischen Kreises Aloys Steppuhn; nicht von ungefähr gehörte der Landrat zu jener Wein- und Wodka-Runde im Februar 2000. Die Freundschaft der beiden reicht mehr als zwanzig Jahre zurück, als Haupt im Märkischen Kreis noch das Personalwesen verantwortete und Steppuhn dort als Kreisinspektor arbeitete. 1999 kandidierte Steppuhn für die CDU zum Landrat – ein Unterfangen, bei dem ihn Haupt tatkräftig unterstützte.

Der Geschäftsmann finanzierte seinem alten Freund im Wahlkampf zumindest teilweise ein aufwändiges Faltblatt, in dem Steppuhn versprach, den "Wirtschaftsstandort Märkischer Kreis" auszubauen. Was mit dem Versprechen gemeint war, sollte sich nach der Wahl zeigen. Insgesamt spendete Haupt der CDU im Märkischen Kreis mindestens 38.600 Mark. Im Mai 1999, vier Monate vor der Kommunalwahl, lud er zusammen mit seiner Frau das Ehepaar Steppuhn zu einem Drei-Tage-Kurzurlaub nach Berlin. Für 1800 Mark logierten sie im Luxushotel Grand Hyatt; auch diese Rechnung wurde vom IKW bezahlt.

Nach dem Wahlsieg Steppuhns am 12. September 1999 hatten der neue Landrat und sein Spezi Haupt andere Termine. Aus dem Untersuchungsbericht der so genannten Task Force, einer Sondereinheit, die die nordrhein-westfälische Landesregierung nach dem Kölner Müllskandal eingesetzt hatte, um weitere Korruptionsdelikte aufzudecken (ZEIT Nr. 29/03), geht hervor, dass sich die beiden Freunde im Juni 2000 mit der politischen Spitze des Kreises in einer Iserlohner Gaststätte trafen. Gegenstand des Gesprächs: die Privatisierung der örtlichen Müllverbrennungsanlage.


Doppelverdiener? Drei Tage später führte Haupt den Gutachter Max Dohmann im Märkischen Kreis ein. Der Aachener Professor gilt als Berühmtheit in der Müllbranche; seit drei Jahren ist er sogar Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung. Im Märkischen Kreis wurde er zum wichtigsten Berater. Dohmann hatte Zugang zu den Daten aller Bieter und konnte das Vergabeverfahren entscheidend steuern. Für seine Arbeit erhielt er vom Kreis 230.000 Mark.

Was aber nur wenige wissen konnten: Der Gutachter Dohmann war nicht nur dem Kreis, sondern auch dem Müllmagnaten Hellmut Trienekens verpflichtet. Nach Erkenntnissen der Staatsanwälte in Köln hatte Trienekens dessen Forschungsinstitut in Aachen mit einem großzügigen Darlehen unterstützt. Darüber hinaus engagierte auch Trienekens den Professor immer wieder, wenn es um Gutachten ging – möglicherweise auch im Märkischen Kreis, wo die Firma Trienekens bei der Privatisierung der MVA mitgeboten hatte. In den Ermittlungsunterlagen der Staatsanwaltschaft Bochum findet sich ein interessanter Vermerk des Trienekens-Vorstands Michael Mevissen vom 4. April 2001. Demnach stellte Trienekens Dohmann ein Honorar über 110.000 Mark in Aussicht – für Beratungen im Märkischen Kreis.

Im selben Vermerk wurden auch dem Bonner Rechtsanwalt Arnold Boesen von Trienekens 150.000 Mark für dessen Unterstützung im Sauerland avisiert. Dabei war auch Boesen – wie Dohmann – für den Märkischen Kreis als Berater tätig, wofür er laut Task-Force-Bericht eine Rechnung über rund 662.000 Mark ausstellte. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Bochum gegen beide wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit. Sowohl Dohmann als auch Boesen bestreiten jedoch, von Trienekens Geld im Zusammenhang mit dem Märkischen Kreis erhalten zu haben. Rechtsanwalt Boesen erläutert den dubiosen Vermerk damit, dass Trienekens-Vorstand Mevissen lediglich zusammengestellt habe, welche Kosten seine Firma übernehmen müsste, falls sie bei der Privatisierung des Müllofens zum Zuge käme. Tatsächlich erhielt Trienekens über eine Bietergemeinschaft zunächst den Zuschlag. Aufgrund eines Kartellverfahrens musste sich die Firma allerdings wieder von der Beteiligung am Müllofen in Iserlohn trennen.

Auch für IKW-Geschäftsführer Haupt lohnte sich der Einsatz im Märkischen Kreis. Laut Task-Force-Bericht bekam er Honorare in Höhe von rund 674.000 Euro – allerdings nicht vom Kreis, sondern von Trienekens. Haupts Anwalt Udo Rohrig stellt lediglich die Höhe der Summe infrage. Die Staatsanwaltschaft Bochum untersucht derzeit, ob der IKW-Geschäftsführer einen Teil dieser Honorare als Schmiergelder an Verantwortliche im Kreis weitergegeben hat.


Go East. In Nordrhein-Westfalen kannte sich Klaus-Jürgen Haupt bestens aus. Doch neue Herausforderungen lockten. Bereits kurz nach der Wende engagierte sich der umtriebige Geschäftsmann auch in Ostdeutschland. Nach eigener Aussage brachte er seinen Partner Trienekens zunächst bei den Entsorgungswerken im Kreis Prignitz ins Geschäft; er selbst kassierte dabei von Trienekens ein Honorar über 300.000 Mark. Ähnliche Projekte folgten. Nach Erkenntnissen der Ermittler war Haupt in mehr als einem Dutzend ostdeutscher Kommunen aktiv, unter anderem in Weimar, Zwickau, Nordhausen und Freiberg.

Im sächsischen Delitzsch schließlich stieg das IKW selbst als Teilhaber ins Müllgeschäft ein. Über eine verschachtelte Gesellschaftskonstruktion halten Haupt und Trienekens dort einen erheblichen Anteil an der Entsorgungsgesellschaft KWD. Ende der neunziger Jahre plante die Gesellschaft ein großes Geschäft. Im Kreis Delitzsch sollte ein Müllofen gebaut werden, der auch den Abfall aus dem Großraum Leipzig verbrennen sollte. Politisch verantwortlich zeichnete der Landrat Michael Czupalla, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der neu gegründeten KWD-Holding ist.

Bereits bei der Ausschreibung der Anlage passiert Merkwürdiges. Haupt lässt sich nach Informationen der ZEIT als IKW-Geschäftsführer von der KWD, an der er beteiligt ist, am 26. Oktober 1998 beauftragen, einen geeigneten Partner für eine europaweite Ausschreibung zu finden. Dafür erhält er ein Beraterhonorar. Im Laufe des Verfahrens unterzeichnet Haupt einen weiteren Beratervertrag – diesmal mit der Schweizer Ecoling AG, die die Ausschreibung organisieren sollte. Ein Staatsanwalt fasst das dubiose Geschäft so zusammen: Haupt hat die Schweizer dabei beraten, wie sie sich bei Haupt bewerben können, und dafür Geld kassiert. Landrat Czupalla nickte das Ganze nach eigenen Angaben als Aufsichtsratschef der Entsorgungsgesellschaft ab.

Der Name Ecoling AG elektrisiert die Ermittler. Denn nach Erkenntnissen der Kölner Staatsanwaltschaft hat Müllmagnat Trienekens einen Großteil der Schmiergeldzahlungen im Kölner Skandal über ebenjene Schweizer Firma abgewickelt. Auch Vertreter des Delitzscher Landrats Czupalla waren im August 2000 zu Gesprächen mit der Ecoling in Zürich. Wenige Tage zuvor hatte Haupt mit der Ecoling einen Vertrag über 108.000 Mark geschlossen – Geld, das für Czupalla bestimmt war? Der CDU-Landrat bestreitet, von der Schweizer Firma Geld erhalten zu haben.

Ähnlich wie im Kölner Fall war auch der geplante Müllofen in Delitzsch mit rund 250.000 Tonnen Jahreskapazität vollkommen überdimensioniert. Neben den potenziellen Abfalllieferanten hätten vor allem Anlagenbauer von dem Auftrag profitiert. Tatsächlich stießen die Ermittler auf dubiose Zahlungen an die IKW genau in dem Zeitraum, in dem die Planungen für den Müllofen auf Hochtouren liefen. So überwies ein Tochterunternehmen des mittlerweile insolventen Anlagenbauers Babcock-Borsig in rund einem Dutzend Tranchen 1.098.868,02 Mark auf ein Firmenkonto der IKW, ohne dass eine Gegenleistung erkennbar wäre. Auch Trienekens überwies 1.004.246,77 Mark auf das Konto 26100 bei der Landesbank Sachsen. Auch hier rätseln die Ermittler über den Anlass.

Klaus-Jürgen Haupt kümmerte sich derweil persönlich um den Landrat Czupalla. Im Februar 2000 ließ er in Iserlohn Wein und Wodka servieren; im Kommunalwahlkampf 2001 bezahlte er einmal mehr eine Rechnung der PR-Firma Kolöchter und Partner. Die entwarf dafür, wie zuvor im Sauerland, auch für den Delitzscher Landrat eine auf ihn zugeschnittene Werbekampagne, Plakate und Flugblatt inklusive. Die Müllverbrennungsanlage ist bis heute nicht gebaut; dafür ermittelt die Staatsanwaltschaft Leipzig gegen Haupt und Czupalla wegen Korruptionsdelikten.

Wahlkampfhilfen, Wodka, Rinderfilet – Haupts Rechtsanwalt Udo Rohrig versucht, die Aufregung kleinzureden. Landschaftspflege? Korruption? Ach was! Sein Mandant sei allenfalls ein "Beifang", gemessen an den Schmiergeldbeträgen, um die es im Kölner Prozess geht. Mit anderen Worten: IKW-Geschäftsführer Haupt war kein großer, sondern nur ein kleiner Strippenzieher im Netzwerk der rheinischen Müllmafia. Wenn sich sein Anwalt da mal nicht täuscht.

DIE ZEIT, 20.11.2003