Hermes: „8,7 Millionen Bares fehlen

Rechtsanwalt von Aktionsbündnis stellt Strafanzeige gegen die Kreiswerke

Von DITMAR WOHLGEMUTH

Delitzsch. An Zündstoff für eine heiße Debatte mangelte es am Mittwochabend im Saal des Weißen Rosses in Delitzsch nicht. „Wird des Bürgers Geld nur noch verzockt? - Kommunale Haushalte zwischen Sparzwängen und Verschwendung? “ überschrieb das Aktionsbündnis für sozialverträgliche Kommunalabgaben das Treffen, zu dem 80 Männer und Frauen kamen.

Wo sind die 8,72 Millionen Euro Rücklagen geblieben, die in den Jahren 1993 bis 2001 für die Sanierung von Deponien angespart wurden“, fragte Lothar Hermes aus Dresden, Anwalt des Aktionsbündnisses, und erwartete eine plausible Erklärung durch den anwesenden Geschäftsführer der Kreiswerke Delitzsch (KWD), Heinz Böhmer. Dieser verwies auf öffentlich zugängliche Bilanzen der KWD GmbH und gab an, die Millionen steckten in verschiedenen Vermögenswerten der KWD. Die Deponiesanierung und Nachsorge müsse so in den nächsten 25 bis 30 Jahren erwirtschaftet werden. Hermes konterte: „Rücklagen sind aber so sicher anzulegen, dass sie bei Bedarf, also bei Beginn der Sanierungsarbeiten, abgerufen werden können.“ Ab dem Jahr 2002 wären diese Rücklagen in den Bilanzen des Unternehmens aber nicht mehr aufzufinden. Die Frage „Wo ist das Geld hin?“ wiederholte auch die Gastgeberin und Landtagsabgeordnete Andrea Roth (Linkspartei). Die Zuhörer gaben sich mit buchhalterischen Erklärungen der KWD-Chefetage nicht zufrieden und forderten Akteneinsicht. Hermes war bereits weiter. Er habe den Sachverhalt gewertet und Strafanzeige wegen Untreue gegen die Kreiswerke erstattet. „Ich habe keine Beweise, aber es sind wichtige Anhaltspunkte, die diesen Schritt rechtfertigen“, sagte er.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 05.05.2006, Titelseite


Wo ist unser Geld geblieben?

Bürgerinitiative erhebt Vorwürfe gegen Kreiswerke Delitzsch / Strafanzeige wegen Untreue bei Staatsanwaltschaft

D e l i t z s c h. Es gab viele Fragen, aber wenig befriedigende Antworten. Die 80 Leute, die in den Saal des Hotels „Weißes Roß“ kamen, gingen trotzdem erst nach fast drei Stunden Diskussion wieder nach Hause. „Wird des Bürgers Geld nur noch verzockt? Kommunale Haushalte zwischen Sparzwängen und Verschwendung“ überschrieb Gastgeberin Andrea Roth (Mitglied des Landtages/Linkspartei) die Veranstaltung, an der Vertreter von Bürgerinitiativen aus Westsachsen teilnahmen. In den Fokus der Debatte rückten deutlich die Kreiswerke Delitzsch (KWD) und ihr Umgang mit Rücklagen, die für die Sanierung der Deponien von Lissa und Spröda angesammelt wurden.


Lothar Hermes Es besteht immer das Risiko, das öffentliche Gelder verschleudert werden, wenn keine Transparenz nach außen gewährleistet ist.


Die Aufforderung von Dietmar Mieth vom Verein Sauberes Delitzscher Land klang plausibel: „Wer klaren Blick behält, weiß, wer uns die hohen Kosten verursacht.“ Er selbst klagt gegen die Abfallgebührenerhöhung des Landkreises und lässt sich dabei vom Dresdner Rechtsanwalt Lothar Hermes vertreten. Der Verwaltungsrecht-Experte Hermes - er half auch der Interessengemeinschaft (IG) Betroffene Bürger Delitzsch vor Gerichten - erläuterte zunächst den aufmerksamen Zuhörern den Begriff kommunale Abgaben, um dann auf direktem Weg auf hiesige Verhältnisse einzugehen. Mieth hatte es zuvor nicht versäumt, ihn über die Zusammensetzung des Publikums zu informieren. „Ein Drittel sind Mitarbeiter der KWD und ein Sechstel haben im Landratsamt zu tun.

Für Hermes ist es systemimmanent, dass dort, wo die öffentliche Hand und Private gemeinsam eine Gesellschaft bilden, ein erhöhtes Risiko besteht, „öffentliche Gelder zu verschleudern“. Im Fall der KWD sei bisher der private Partner das Beratungsinstitut für Kommunalwirtschaft (IKW) mit dem Geschäftsführer Klaus-Jürgen Haupt gewesen (Die 45 Prozent der Anteile an den Kreiswerken Delitzsch kaufte kürzlich die Rohstoffmanagement, Chef ist Klaus Kögel; A. d.R.). über die künftige Strategie des Kommunalentsorgers, Hermes räumte allerdings ein, dass diese Konstellation durchaus auch funktionieren kann, wenn die Transparenz gewährleistet sei. „Bei den KWD besteht da noch Aufholbedarf“, sagte er.

Bei Recherchen in den Bilanzen der KWD ist Hermes aufgefallen, dass seit 1993 bis 2001 regelmäßig Rücklagen für die Deponiesanierungen in Spröda und Lissa gebildet wurden - insgesamt 8,72 Millionen Euro. „Dieser Betrag muss da sein, ist er aber nicht.“ Ab 2002 taucht dieses Geld in den KWD-Bilanzen nicht mehr auf. Gegenüber dem Regierungspräsidium (RP) Leipzig haben die KWD kürzlich eingeräumten, nur 1,5 Millionen Euro Eigenmittel zu haben. Anwalt Hermes verwies auf ein entsprechendes Schreiben. In der Bilanz der KWD von 2004 finden sich diese 1,5 Millionen Euro nur im Kassenbestand wieder. Just in das Jahr 2002 fiele der Wechsel der Wirtschaftsprüfer bei den KWD, teilte Hermes den Anwesenden mit. „Abschlusszahlen müssen aber beim Anfangsbestand wieder mit aufgeführt werden“, bemerkte Klaus Kunze, der selbst vom Fach ist. Es könne nicht wahr sein, dass Wirtschaftsprüfern diese Differenz nicht aufgefallen sein soll.

Wo ist unser Geld geblieben? Es besteht erheblicher Erklärungsbedarf“, stellte Barbara Mohsen Zaher fest. Die Rücklagen wurden durch das Zahlen der Abfallgebühren durch die Bürger geschaffen. „Leider verhalten sich die Delitzscher viel zu ruhig und sind geduldsame Lämmer.

Die Unterlagen, Kalkulationen und Satzungen, stehen zur Verfügung und können eingesehen werden“, teilte Reinhard Freitag, Prokurist der Eneba (Entsorgungs-, Entwicklungs- und Baugesellschaft mbH Delitzsch). Die Eneba, eine Holding, besitzt 50 Prozent der KWD-Anteile.

Die Landtagsabgeordnete Andrea Roth (Linkspartei) befürchtete, dass nur die Wenigsten die Dokumente verstehen können. „Selbst Abgeordnete haben ihre Schwierigkeiten, kommunale Haushalt zu lesen.“ Sie seien für Laien unverständlich und bedürften einer Vereinfachung. Deshalb würden sich auch nur wenige damit beschäftigen und kaum nachfragen.


Barbara Mohsen Zaher: Es besteht erheblicher Erklärungsbedarf. Leider sind die Delitzscher zu geduldsame Lämmer.


Ich stelle meine Fragen“, wetterte Volker Tiefensee, CDU-Kreistagsabgeordneter. Auf die KWD-Bilanzen eingehend, betonte er, dass diese von unabhängigen Wirtschaftsprüfern aufgestellt werden. „Sie haften auch dafür.“ In den Aufsichtsräten nehmen Abgeordnete ihre Funktion sehr ernst. Es sei allerings Aufgabe der einzelnen Fraktionen, fachkundige Personen zu entsenden.

Was Bilanzen aussagen, erklärte Michael Sehrt (Linkspartei), Abgeordneter im Kreistag Torgau/Oschatz. „Über Jahre hinweg wurden bei der Kreissparkasse Gewinne ausgewiesen. Im vergangenen Jahr erfuhren wir dann aber von einem 100-Millionen- Verlust. Auch hier hatten zuvor Wirtschaftsprüfer ihre Arbeit gemacht. So viel zum Thema Vertrauen.

KWD-Geschäftsführer Heinz Böhmer bestätigte die Rückstellungen von 10 Millionen Euro. Dies sei aber rein buchungstechnischer Vorgang. Sie wären in verschiedene Vermögenswerten der KWD geflossen. „Das Geld ist nicht weg.“ Er kündigte an, die Kosten für die Nachsorge der Deponie durch Gewinne auf anderen Geschäftsfeldern der KWD, wie zum Beispiel der Ersatzbrennstoffproduktion, in den kommenden 25 Jahren decken zu wollen.


Heinz Böhmer: Die Rückstellungen sind in verschiedene Vermögenswerte der Kreiswerke geflossen. Das Geld ist nicht weg.


Hermes hielt entgegen, dass Rücklagen, bares Geld in Höhe von 8,7 Millionen Euro, vorhanden waren, jetzt aber nicht mehr nachweisbar sind. Der Rechtsanwalt kritisierte die Kontrollgremien, den KWD-Aufsichtsrat und das RP.

Am 20. April dieses Jahres habe er Strafanzeige gegen die Kreiswerke Delitzsch gestellt. „Die Unterlagen müssten jetzt bei der Staatsanwaltschaft in Leipzig liegen“, sagte er. Der Vorwurf: Untreue. Möglicherweise komme noch Subventionsbetrug dazu. „Die KWD erhalten für die Deponiesanierung fünf Millionen Euro Fördermittel aus der EU, die sie vielleicht gar nicht erhalten dürften, weil bereits Rücklagen gebildet wurden. Vielleicht ist an allem nichts oder nicht so viel dran. Würden die KWD mehr Transparenz zulassen, ließe sich manches ausräumen“, mutmaßte der Anwalt.

Rechtsanwalt Lothar Hermes (stehend) zeigte sich kämpferisch und versucht schwierige Sachverhalte für die Zuhörer einfach zu erklären. Dietmar Mieth, Landwirt aus Zschepen und Andrea Roth, Landtagsabgeordnete der Linkspartei, flankierten den Juristen des Aktionsbündnisses auf der linken Seite. Rechts Sieghard Weck. Er unterstützt das Bündnis als Umweltgutachter.

LVZ, Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 05.05.2006, Seite 3


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