Leser verärgert über vertagten Haushaltsbeschluss

"Sinn dieses Boykotts ist höchst fraglich"

Delitzsch. Auch gestern riss die Resonanz auf die geplatzte 28. Stadtratssitzung in der vergangenen Woche nicht ab. 16 von 30 Stadtratsplätzen waren leer geblieben. Der geplante Beschluss des Stadthaushaltes 2002 musste auf den 6. März vertagt werden. Die Stadtratsmehrheit von Abgeordneten der SPD, PDS und Freien Wählern hatten dem Oberbürgermeister und Stadtratsvorsitzenden Heinz Bieniek mit dem Boykott einen Denkzettel verpassen wollen, weil sie mit Verfahrensweisen zum Verkauf von Grundstücken zum Bau einer Müllverbrennungsanlage im Gewerbegebiet Delitzsch-Südwest nicht einverstanden sind.

"Es gibt aber unter den vielen Positionen des Haushaltes eine entscheidende, die einen breiten politischen Konsens haben sollte und dies ist die Frage des Abbaus der Arbeits- und Beschäftigungslosigkeit", so der Verbund Delitzscher Bildungsträger. "Die Arbeitsmarktpolitik der Stadt wird aber nicht nur durch die Stadtkasse finanziert. Somit ist man auf Gelder des Arbeitsamtes, des Landes und der EU angewiesen. Dies sind Co-Finanzierungen, die bis zu 75 Prozent der Kosten des gesamten Projektes im Bereich von Arbeitsförderinstrumenten wie ABM ausmachen und man muss wissen, dass diese an Termine gebunden sind, zu denen sie abgerufenwerden müssen." Werde dies verzögert, bestehe die Gefahr, dass Geld verfällt und dann in anderen Gemeinden, Städten und Regionen eingesetzt wird. "Ob die politischen Streithähne, aus welchen Intentionen heraus auch immer, dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch so sehen, ist fraglich. Es dürfte aber spätestens bei der nächsten Wahl interessant werden, wenn die gleichen Streithähne von heute um die Gunst der Wählerstimmen der Arbeitslosen buhlen", so der Verbund. Jens Geidel vom Bund der Selbstständigen verließ verärgert als interessierter Bürger und Vertreter des ortsansässigen Mittelstandes das Rathaus wie andere auch. "Wir mittelständischen Unternehmen sind davon ausgegangen, dass der Haushalt 2002 am Donnerstag verabschiedet wird, denn damit hätte die Verwaltung Planungssicherheit gehabt und Aufträge an uns erteilen können, die für unsere Existenz und die daran gebundenen Arbeitsplätze enorm wichtig ist. Der Haushaltsplan sollte, bereits verspätet durch Meinungsverschiedenheiten in der Verwaltungsgemeinschaft mit Döbernitz, im Februar 2002 erabschiedet werden und bildet die finanzielle Grundlage für die Arbeitsfähigkeit der Verwaltung, damit auch für öffentliche Aufträge für die örtliche Wirtschaft. Wie wollen diese von der Bevölkerung und den Gewerbetreibenden unserer Stadt gewählten Stadträte diese Handlungsweise in einer schon wirtschaftlich gebeutelten Region vertreten?", fragt sich auch Geidel und meint: "Strategische Sandkastenspiele gehören nicht ins Stadtparlament. Meinungsverschiedenheiten sollten mit sachlichen Argumenten ausdiskutiert werden." Manch ein Volksvertreter sollte sich nun die Frage gefallen lassen: "Bin ich noch würdig, Stadtrat zu sein - vertrete ich die Interessen der Bürger und Gewerbetreibenden?"
Unstimmigkeiten in Stadtratssitzungen sind durchaus nötig, da kritische Diskussionen zur Problemlösung beitragen können und sollten, meinen Monika Kühne und Kathrin Zeidler. Für die Geschäftsführerinnen der Delta Planungsgesellschaft mbH ist der Sinn eines Boykotts von Ratssitzungen durch von Bürgern gewählte Räte jedoch "höchst fraglich". Wem nütze denn letztendlich solches Verhalten? Wer trägt den größten Schaden? Für Planungsbüros sei zusätzlich mit Wetterabhängigkeit und langen Genehmigungs- und Ausschreibungsfristen zu rechnen. "Der Stadtrat eignet sich nicht zum Austragen von Konflikten, sondern nur zur konstruktiven Konfliktlösung im Interesse der Bürger."
Gemäß § 35 Abs. 4 der Gemeindeordnung des Freistaates Sachsen sind die von den Bürgern gewählten Stadträte verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen. Für Marlis Fischer CDU-Fraktionsvorsitzende, ist es verwunderlich, dass sich Stadträte der PDS, der Freien Wähler und der SPD zum Teil erst zwei Stunden vor der Sitzung aus unterschiedlichen Gründen entschuldigten. "Allen war bekannt, dass der Haushaltsplan beschlossen werden sollte. Damit wird die Verwaltung ermächtigt, Finanzen für im Plan festgeschriebene Maßnahmen bereitzustellen. Maßnahmen, auf die viele Firmen und Handwerker dringend warten."
"Der erste Entwurf des Haushaltes lag bereits am 27. September 2001 vor" äußerte sich Stadtrat Jörg Bornack (SPD). Die Sächsische Gemeindeordnung schreibe als Termin der Haushaltsatzung einen Monat vor Beginn des Haushaltjahres vor. "Ich habe schon in den vergangenen Jahren das verspätete Vorlegen des Haushaltes als wirtschaftsschädigend gerügt. Wie berechtigt diese Kritik war, zeigen die jetzigen Leserbriefe. Eine Verspätung des Haushaltes um drei Monate darf es künftig nicht mehr geben. Auch die zusätzlichen 14 Tage Verspätung sind bedauerlich. Gemeinsames zeitiges Einfordern des Haushaltes fristgemäß im Dezember des Vorjahres wird künftig vielleicht Erfolg bringen. Im Februar ist es für Kritik fast schon zu spät."

Karin Rieck

LVZ, 26.02.2002